Am 13. Mai 2013 haben sich in Düsseldorf rund 1.500 Richter und Staatsanwälte aus ganz Nordrhein-Westfalen zu der wahrscheinlich bisher größten Demonstration von Richtern und Staatsanwälten versammelt, die es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland jemals gegeben hat. Zu der Demonstration aufgerufen haben unter anderem der "Richterbund der Arbeitsgerichtsbarkeit Nordrhein-Westfalen (RBA-NW)", sowie unser Dachverband, der "Bund der Richter und Staatsanwälte Nordrhein-Westfalen e.V."

 

Aus der Rede des Landesvorsitzenden des DRB-NRW Lindemann:

"[...] Heute vor genau einem Jahr, am 13. Mai 2012, fand die Wahl zum 16. Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen statt. Wir bekamen eine Regierung, deren oberste Rep- räsentanten im Dezember 2011, also kurze Zeit vor dem genannten Wahltermin den Beamten im Lande versichert hatten, dass die Zeit der Sonderopfer für die Richter und Beamten vorbei sei.

Ich zitiere aus einem Schreiben der damaligen und jetzigen Ministerpräsidentin des Landes Hannelore Kraft an den Vorsitzenden des DBB:
'Zitat Anfang: Natürlich sind auch mir die schmerzlichen Einschnitte bei der Besol- dung in den zurückliegenden Jahren bewusst. ... Ich kann Ihnen aber versichern, dass die Landesregierung keine weiteren Einschnitte bei der Beamtenschaft plant. Zitat Ende'

Zu derselben Zeit, kurz vor Weihnachten 2011, schrieb der damalige und jetzige Fi- nanzminister des Landes, ich zitiere ebenfalls aus einem Schreiben an den Vorsit- zenden des DBB den damaligen und jetzigen Finanzminister Dr. Norbert Walter- Borjans:

'Zitat Anfang: Sie wissen, dass die Landesregierung bereits mehrfach verkündet hat, Beamte, Richter, Staatsanwälte und Versorgungsempfänger zukünftig nicht weiter von der Lohnentwicklung abzukoppeln. Dazu gehört, dass gute Arbeit angemessen bezahlt wird. Zitat Ende.'

 

Wenn ich mir diese Aussagen vor Augen und Ohren halte, so lese und höre ich dar- aus eine Versicherung und ein Versprechen, oder um was handelt es sich da sonst?

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bringe ein weiteres Zitat:
'Zitat Anfang: Wortbruch stoppen: Tarifabschluss muss uneingeschränkt für den öf- fentlichen Dienst in Nordrhein-Westfalen übernommen werden. Zitat Ende.'

Bei dem zuletzt genannten Zitat handelt es sich um den Eilantrag der SPD-Fraktion im Landtag, Drucksache Nummer 14/8784 vom 16.03.2009, unterschrieben unter anderem von Hannelore Kraft, mit dem die damalige Landesregierung aufgefordert wurde, die Vereinbarungen des Tarifabschlusses der Länder ungeschmälert auf die Beamtinnen und Beamten des Landes Nordrhein-Westfalen zu übertragen.

Liebe Freunde,
wenn nun die Landesregierung meint, trotz der soeben zitierten Versicherungen und Versprechen den zuletzt gefundenen Tarifabschluss im öffentlichen Dienst nicht auf die Beamten des höheren Dienstes und die Richter zu übertragen, so kann man mit Frau Hannelore Kraft bezüglich ihrer am 16.03.2009 gewählten Worte nur überein- stimmen: es handelt sich um Wortbruch und der muss gestoppt werden!

Wortbruch macht uns zornig. Es geht nicht um Hundert Euro, es geht darum, dass zwischen Dienstherrn und Dienstverpflichteten Respekt und Vertrauen herrscht, wenn aber eine Seite das Wort bricht, so ist es mit Respekt und Vertrauen nicht mehr so bestellt wie zuvor.

Nun heißt es in einer Verlautbarung der Landesregierung vom 18.03.2013:

'Die Besoldungsgruppen ab A13 nehmen für 2013 und 2014 nicht an der Tarifanpas- sung teil. Diese Staffelung gilt auch für die Pensionäre. Auch in den Besoldungs- gruppen, die keine oder nur eine geringe Anpassung erhalten, bleibt eine amtsan- gemessene Lebensführung im Vergleich der Nettoeinkommen zu entsprechenden Tarifbeschäftigten, aber auch im Vergleich zu anderen Ländern gewährleistet. Die vorgeschlagene Abstufung folgt dem Leitgedanken, dass stärkere Schultern mehr tragen können als schwache.'

 

Dass stärkere Schultern mehr tragen können als schwache mag ja für sich gesehen stimmen, aber im Hinblick auf Richter und Beamte in Nordrhein-Westfalen kommt es auf wesentlich mehr an als solche vermeintlich markigen Sprüche loszulassen. Denn da gilt Folgendes:

Die Tarifbeschäftigten mit höheren Einkommen, die den Besoldungsgruppen ab A 13 oder ab R 1 entsprechen, nehmen sehr wohl an der Tarifanpassung teil, steigen in zwei Jahren bis Ende 2014 um Hundert und mehr Euro, wo sind denn da die stärke- ren Schultern, die mehr tragen können als schwache!?!

Auch hier zeigt sich deutlich, dass es sich um eine Zumutung handelt, die den Rich- tern und den Beamten des höheren Dienstes als sozialverträgliches Handeln verkauft werden soll.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

der DBB hat vor kurzem einmal ausgerechnet, durch welche von den Richtern und Beamten erbrachten Sonderopfer der Landeshaushalt im Jahre 2012 Einsparungen verzeichnen konnte, nämlich

- infolge mehrerer Nullrunden in den vergangenen zehn Jahren,

- durch erhebliche Kürzungen des Weihnachtsgeldes,

- durch Streichung des Urlaubsgeldes,

- durch ständige Streichungen im Beihilfebereich,

- durch die Einführung einer hohen Eigenbeteiligung an den Krankheitskosten,

- durch Verlängerung der Wochenarbeitszeit auf 41 Stunden,

- durch Hebung der Altersgrenze,

- durch Kürzungen der Versorgungsbezüge,

- durch Streichung von Jubiläumszuwendungen und und und;

das alles zusammengerechnet ergibt Einsparungen im Jahre 2012 in Höhe von 2, 1 Milliarden Euro, bitte genau hinhören: 2,1 Milliarden Euro. Das ist doch wohl eine riesige Leistung. Gleichwohl werden wir mit einem Wortbruch belohnt und mit einer – von der Regierung so genannten Nullrunde, in Wirklichkeit sind dies ja echte Minus- runden – erneut bestraft.

Wo bleibt denn da die Sozialverträglichkeit?

Ich möchte daran erinnern, dass wir beispielsweise in den Jahren zwischen 1992 und 2007 mit unseren Einkünften mit sage und schreibe 9,5 % hinter der im selben Zeit- raum zu verzeichnenden Inflation hinterher hinkten.

Wir werden bestraft sage ich aus folgendem Grund:
Die Einschnitte, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind ja nicht das Einzige, was uns zugemutet wird. Wir sind offensichtlich das Sparschwein der Landesregierung, wenn man sich mal die letzten zehn Jahre anschaut:

[...]

Gleichwohl funktioniert die Justiz immer noch. Und warum?

Weil wir Richter und Staatsanwälte in ganz erheblichem Umfang weit mehr an Ar- beitsleistung erbringen, als wir es eigentlich müssten. Wir arbeiten im Durchschnitt 10 Wochenstunden mehr, als wir nach der uns zugedachten Besoldung arbeiten müssten. Das scheint aber ganz offensichtlich unsere in der Öffentlichkeit nicht im- mer bemerkte Art zu sein, freiwillige Mehrleistungen zu erbringen, zumindest bis jetzt.

Wir bekommen es alle Vierteljahr schwarz auf weiß präsentiert durch die Zahlen im Personalbedarfsberechnungssystem Pebb§y. Die letzten, für das Jahr 2012 ermittelten Zahlen sagen, dass die Richter [...] überbelastet waren [...].

Anders ausgedrückt heißt das, dass wir zwar 50 Stunden wöchentlich arbeiten, also locker eine 6-Tage-Woche haben, allerdings nur für 41 Stunden Wochenarbeitszeit bezahlt werden. Wir haben das mal an einem Beispiel eines jungen Richters, 27 Jah- re alt, ledig, keine Kinder, ausgerechnet, haben vom Monatsbrutto einschließlich dem kümmerlichen Restbetrag von Weihnachtsgeld Steuern und Krankenvorsorge abge- zogen und kommen auf einen Stundenlohn von netto 11,90 €, 11,90 € für einen hochqualifizierten Juristen nach jahrelangem Studium bei andauernd überobligatori- scher Arbeitserledigung.

Hinsichtlich der Bezahlung der Richter und Staatsanwälte übrigens ist Deutschland im europäischen Vergleich mittlerweile das Schlusslicht.

[...]

So nicht Frau Ministerpräsidentin! Halten Sie Wort! Seien Sie so solidarisch, wie Sie es uns im Jahre 2011 versprochen hatten! Die von Ihnen zitierte Schul- denbremse als Hindernis für eine 1:1-Übertragung des Tarifabschlusses gab es auch damals schon! Machen Sie Ihre Besoldungspolitik rückgängig! Wenden Sie Schaden von der Justiz ab! Von der Justiz, die immerhin die dritte Gewalt im Staate ist, nicht irgendein kleines Amt, über das Sie verfügen können!

Die Landesregierung und die Mitglieder des Landtags – also die zweite und die erste Staatsgewalt – dürfen bei alledem nicht verkennen, dass die dritte Staatsgewalt mit ihrer jahrelang an den Tag gelegten Bereitschaft, erheblich überobligatorisch zu ar- beiten, einen wesentlichen Anteil daran hat, dass das Land Nordrhein-Westfalen durch ein effizientes und rechtsstaatliches Gerichtswesen für die Wirtschaft der Welt exzellente Rahmenbedingungen für unternehmerisches Handeln bietet und somit die Voraussetzungen für sprudelnde Steuereinnahmen. Wir wissen alle, dass das Land Nordrhein-Westfalen noch nie so hohe Steuereinnahmen hatte wie jetzt und eine hervorragende Einnahmelage hat. Da fragt man sich doch ernsthaft, wie sich die Landesregierung denn verhalten will, wenn es mal schlechter geht?

Wenn dann aber die Landesregierung – und möglicherweise auch der Landtag – durch ein erneutes Abhängen der Richter und Staatsanwälte von der Lohnentwick- lung und durch weiteres Zufügen von Besoldungsnachteilen all diese Dinge nicht an- erkennen wollen, dann sorgen Sie, Frau Ministerpräsidentin, dann sorgen Sie, ver- ehrte Damen und Herren Mitglieder der Landesregierung, dann sorgen Sie, verehrte Damen und Herren Mitglieder des Landtags dafür, dass wir völlig demotiviert nicht mehr bereit sein werden, über die aufgrund unserer dienstrechtlichen Verpflichtun- gen zu leistende Arbeit hinausgehende Arbeitsleistungen zu erbringen.

[...]

Uns wird entgegengehalten, dass die Alternative zur Nichtübertragung des Tarifer- gebnisses der Abbau von 14000 Stellen in der Landesverwaltung gewesen sei. Dieser Erklärungsversuch, dass Sie die Wahl zwischen Nullrunden und Personalab- bau hatten, ist falsch – und ist bisher weder valide belegt noch sonst nachvollziehbar, aber – wie gesagt, in erster Linie falsch.

Das Recht gibt hier nämlich eindeutige Vorgaben: Entweder benötigt der Staat die gegenwärtig beschäftigten Staatsdiener zur Erfüllung der Gemeinwohlaufgaben des Staates, dann hat dieser Staat den Personalstamm zu erhalten und angemessen zu alimentieren. Oder man kommt zu dem Ergebnis, dass der bestehende Personal- stamm zu groß ist, dann wäre im Interesse des Steuerzahlers Personal abzubauen. Eine Alternative „Personalabbau oder angemessene Alimentation“ gibt es nicht. Eine Alimentation nach Kassenlage ist unzulässig, weil verfassungswidrig.

Durch die von der Landesregierung beabsichtigte Abkoppelung der Besoldungsgrup- pen A 13 bis A 16 sowie B, C, H, R und W würde es zu der grotesken Situation kommen, dass Richter, Staatsanwälte und Beamte des höheren Dienstes einseitig die Beschäftigungssicherung aller Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes finanzieren, und darüber hinaus erhebliche Einkommenssteigerungen in vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes.

Beschäftigungssicherung und Finanzierung von Einkommenssteigerungen können aber nicht Aufgabe nur eines Teils der Beschäftigten sein, sondern sie sind von allen zu tragen und zwar gemeinschaftlich. Eine Teilung ist nicht nur nicht „sozialverträg- lich“, wie behauptet, sondern ungerecht und unsolidarisch und damit schäbig.

Sollte der Landtag den Vorschlag der Landesregierung in ein Gesetz umsetzen und einen großen Teil der Landesbediensteten von der Teilhabe an der Lohnentwicklung zum wiederholten Male ausschließen und diesen ausgeschlossenen Teil der Lan- desbediensteten zur Finanzierung des anderen Teils der Landesbediensteten heran- ziehen, so wird das letzte Wort über diesen finanzpolitischen Coup noch längst nicht gesprochen sein. Dann wird die dritte Staatsgewalt den beiden anderen Staatsgewal- ten sagen müssen, was rechtens ist und was nicht.

[...]

Und so rufen wir den Abgeordneten des Landtags, insbesondere den Mitgliedern der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu:

Machen Sie diese Ungerechtigkeit und diesen Verfassungsverstoß nicht mit, seien Sie mutig und sorgen aus Ihrer Mitte dafür, dass die Vorschläge der Landesregierung nicht Gesetz werden, verabschieden Sie Gesetze, die gerecht und verfassungsmäßig sind.